"Allein oder zusammen?"

Ein Artikel über das Unterrichtsmodell Teamteaching, erschienen im Hochschulmagazin der Neuen Musikzeitung (Ausgabe Juli/August 2020)

 

Allein oder zusammen?

Über die positiven Auswirkungen und vielfältigen Potentiale, die das Teamteaching an Musikhochschulen als Ergänzung zum künstlerischen Einzelunterricht zu bieten hat.

 

Das Unterrichtsmodell Teamteaching im künstlerischen Hauptfach ist nicht neu, wird aber bisher an deutschen Musikhochschulen immer noch eher wenig praktiziert.

Möglicherweise liegt das an den durchaus komplexen Herausforderungen, die einem gelingenden Konzept vom gemeinsamen Unterrichten vorausgehen.

Solche möchte ich im Folgenden reflektieren und versuchen Hinweise zu geben, die zum Gelingen dieser kreativen Unterrichtsform beitragen können. Das tue ich vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir mit Teamteaching innerhalb der Gesangsabteilung an der Hochschule für Musik und Theater München gemacht haben.

Am Anfang stand unser Bedürfnis, uns miteinander über die verschiedenen pädagogischen Ansätze auszutauschen. Wir wollten einen gemeinsamen Raum zu schaffen, in dem Lehrende ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen einbringen. Davon, so dachten wir, müssten dann auch die Studierenden profitieren können.

In einer Art Selbstversuch haben wir innerhalb von drei Jahren verschiedene Formen ausprobiert und auch manche Schwierigkeiten überwunden. Mittlerweile jedoch ist das Teamteaching zu einer wöchentlich stattfindenden Lehrveranstaltung geworden, die fest im Lehrplan verankert wurde und eine große Bereicherung des Einzelunterrichts darstellt.

Einige Beispiele an anderen Hochschulen haben gezeigt, dass das jeweilige Setting sehr unterschiedlich sein kann. So gibt es u.a. ganze Klassen, die in einem kontinuierlichen Co- Teaching von zwei Hauptfachlehrenden paritätisch betreut werden, oder einen sporadischen Austausch von Studierenden entweder interdisziplinär, also fachübergreifend, oder innerhalb der eigenen Fachgruppe.

Üblicherweise wird künstlerischer Hauptfachunterricht an deutschen Musikhochschulen von einer Person gelehrt. Ihr kommt eine führende Verantwortung für die Entwicklung der/des jeweiligen Studierenden zu. Allerdings wird oft unterschätzt, eventuell auch übersehen, dass an einer gelingenden Ausbildung immer mehrere Lehrpersonen beteiligt sind. Das Erreichen künstlerisch-musikalische Höchstleistungen erfordert immer ein Team der Unterstützung. (Im Leistungssport ist solche gang und gäbe.)

Ohne die zentrale Stellung und Bedeutung des Hauptfachunterrichts in Abrede stellen zu wollen, denke ich, dass andere Lehrschwerpunkte, die jeweils im Einzel – oder Gruppenunterricht erteilt werden, von ungemein wichtiger und oft auch wesentlicher Bedeutung für das Fortkommen und die Entfaltung von Studierenden sein können.

Ein Teamteaching mit anderen Hauptfachlehrenden kann diese Vielfalt in der Lehre noch ergänzen und darüber hinaus die Kultur der Lehre insgesamt positiv beeinflussen.

Unser Modell, das Andreas Schmidt, Lars Woldt und ich gemeinsam mit unserer ehemaligen Kollegin Michelle Breedt entwickelt und erprobt haben, wird seit kurzem auch mit unseren neuen Kolleg*innen Daniela Sindram und Julian Pregardien und deren Studierenden fortgesetzt. Wir veranstalten wöchentlich ein zweistündiges Teamteaching, das als Unterrichtsfach im Wahlpflichtbereich für ein oder mehrere Semester gewählt werden kann.

Eingeladen sind Gesangstudierende, die sich bereits in den verschiedenen Masterstudiengängen oder in höheren Semestern des Bachelorstudiengangs befinden, also schon über eine gewisse technische Stabilität und künstlerische Eigenständigkeit verfügen. Die Teilnahme der einzelnen Studierenden findet an einigen der wöchentlichen Termine aktiv und an allen anderen passiv statt.

Der Unterricht gestaltet sich auf vielfältige Weise, abhängig von den jeweiligen Studierenden und deren Repertoire. Es sind immer mindestens zwei, oft aber alle Lehrenden anwesend.

Manchmal unterrichtet nur eine Lehrkraft, manchmal unterrichten alle gemeinsam. Von den individuellen, besonderen Kompetenzen der jeweiligen Lehrenden können sowohl die Studierenden als auch die Kolleg*innen profitieren. Es ergeben sich beispielsweise in der Zusammenarbeit fachspezifische Fragen bezüglich bestimmter Rolleninterpretationen oder stimmtechnischer Aspekte.

Im Anschluss an den gemeinsamen Unterricht gibt es die Gelegenheit für einen Austausch der Lehrenden über die Studierenden und über das Agieren in der Lehre, woraus eine Art kollegialer Supervision erwächst.

Sowohl Lehrziele, Entwicklungsstand und Repertoire als auch die Herangehensweise der unterrichtenden Personen und die Wahrnehmungen der Kolleg*innen werden diskutiert. Natürlich ergeben sich dabei auch konträre Meinungen und unterschiedliche ästhetische Vorstellungen, die aber, als konstruktive Diskussion geführt, für alle Beteiligten anregend und bereichernd sein können.

Die äußere Form oder organisatorische Anordnung des Teamteachings ist jedoch meines Erachtens weniger wichtig als wie sie gefüllt wird. In der Aufmerksamkeit für das „Wie“, also der Art und Weise des Kommunizierens, scheint mir eine entscheidende Bedingung für ein Gelingen zu liegen.

Was braucht es dafür?

Im Wesentlichen wohl Offenheit, Neugier und eine respektvolle Kommunikationskultur! Es bedarf der Fähigkeit zur kritischen Selbstreflektion und Toleranz gegenüber anderen Methoden und darüber hinaus die Bereitschaft, immer auch die Wertschätzung im Feedback zum Ausdruck zu bringen.

Eine der grundlegenden Voraussetzungen hierfür ist meines Erachtens die Klarheit über das eigene Tun als Pädagog*in. Je bewusster ich mir meiner eigenen Stärken, aber auch Grenzen bin, umso weniger fühle ich mich von anderen Ansätzen infrage gestellt, sondern kann sie anerkennen und mich von ihnen inspirieren lassen.

So wird es möglich, die Fülle unterschiedlichster Lehrmethoden kreativ zu nutzen, anstatt in methodischer Einseitigkeit und Ausschließlichkeit zu verharren.

Nicht mehr der eigene Weg oder die eigene Ästhetik werden als ausschließliche Wahrheit behauptet – eine Haltung, die nicht nur fachlich problematisch, sondern ebenso auf der Beziehungsebene fragwürdig ist.

Der reiche Erfahrungsschatz und die hohe Qualifikation einer lehrenden Künstlerpersönlichkeit kann selbstverständlich eine starke Inspiration für Studierende und ein Garant für eine hochqualifizierte Ausbildung sein. Auch können auf der Beziehungsebene im Unterricht Formen der Bewunderung für die künstlerische Leistung der Lehrenden eine sinnvolle und gute Motivation sein und ein Nacheifernwollen auslösen, das als solches natürlich auch positiv und wirksam erlebt werden kann.

Demgegenüber jedoch birgt die starke und absolute Identifikation mit den Hauptfachlehrenden auch Gefahren. Die traditionelle, sogenannte „Meisterlehre“ basiert häufig auf einem stark hierarchisch geprägten Verhältnis. Es kommt vor, dass Lehrende ihre Studierenden als eine Art narzisstischer Erweiterung ihrer selbst betrachten. Erfolge und Misserfolge werden dann zu stark mit der eigenen Persönlichkeit und dem eigenen Erfolg verknüpft.

Beziehungsformen von Vergötterung, Abhängigkeit und Demütigung können entstehen und Studierende an einer selbstverantwortlichen und autonomen Entwicklung hindern.

Ihnen aber die Befähigung zur Eigenständigkeit und Teamfähigkeit zu ermöglichen, ist, meiner Ansicht nach, eine unserer wichtigsten Aufgaben als Lehrende. Unsere Tätigkeit hat eine hohe menschliche Verantwortung, die von uns eine respektvolle und wertschätzende Kommunikation fordert. Diese kann in einem Teamteaching gut veranschaulicht werden.

Die Reduktion von konkurrierendem Verhalten und gelebte Kollegialität haben auch auf das Miteinander der Studierenden eine positive Wirkung, die sich weniger durch die Abwertung anderer behaupten müssen.

Wenn Lehrende ein authentisches und glaubwürdiges Interesse an den Anregungen der Kolleg*innen zeigen, diese Impulse hinterfragen und sie möglicherweise in ihren Unterricht integrieren, kann dieses Verhalten Studierenden aufzeigen, in der Vielfalt einen Wert zu entdecken. Wir beobachten in unserer Abteilung, dass diese Offenheit auch eine Durchlässigkeit innerhalb des sonst eher starren Klassengefüges ermöglicht. Ein in der Regel problembehafteter Vorgang, wie der Wechsel eine*r Hauptfachleher*in innerhalb einer Hochschule, wird so zu einem selbstverständlichen Schritt. Und der Impuls zum Lehrerwechsel geht oftmals sogar auf die Initiative der bisherigen Lehrkraft zurück.

Teamteaching kann also eine wunderbare Möglichkeit sein, Toleranz, Neugier und Teamgeist sowohl menschlich als auch musikalisch vorzuleben, und so junge Menschen, die u.a. in und mit Orchestern, Chören, Kammermusikformationen und Schüler*innen arbeiten werden, für den Beruf bereit zu machen.

Christiane Iven

Professorin für Gesang an der Hochschule für Musik und Theater München

Juni 2020